Gleichnis vom verlorenen Sohn – Auslegung Lukasevangelium 15, 11-32

Lukas 15, 11-32

11 Und er (Jesus; R. B.) sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. 14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben 15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. 17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! 20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen 26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.

Auslegung

11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.“

Warum heißt es nicht: „Einer hatte zwei Söhne“, sondern: „Ein Mensch hatte zwei Söhne“? Warum wird der Vater der zwei Söhne „Mensch“ genannt? Ist es nicht klar, dass ein Vater von zwei Söhnen ein Mensch sein muss?

Mit dem Wort „Mensch“ soll einfach zum Ausdruck gebracht werden, dass man sich den Vater der zwei Söhne als leuchtendes Beispiel der Menschlichkeit vorstellen sollte vor dem dunklen Hintergrund der Unmenschlichkeit der Juden – als einen Menschen, wie Gott sich ihn wünschte. Jesus konfrontiert die unbarmherzigen Juden mit dem Bild Gottes als eines barmherzigen Vaters. Wahre Frömmigkeit hatte also etwas mit Barmherzigkeit zu tun. Durch ihre Unbarmherzigkeit waren die Juden in Gottes Augen Unmenschen bzw. „keine Menschen“, was ihnen bewusst werden sollte, indem Jesus einen Barmherzigen „Mensch“ nennt.

Wer oder was wird durch den Begriff „zwei Söhne“ versinnbildlicht?

Damit sind einfach zwei Arten von Juden gemeint, und durch den Begriff „Söhne“ wird zum Ausdruck gebracht, dass alle Juden von Haus aus in einer gewissen Beziehung zu Gott stehen wie bildlich gesprochen Söhne zu ihrem Vater.

12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.“

Einer der beiden Söhne wird der jüngere genannt.

Was soll damit gesagt werden?

Mit „jung“ wird eine gewisse Unerfahrenheit zum Ausdruck gebracht. Beide Söhne nehmen ihr Erbteil entgegen noch zu Lebzeiten ihres Vaters. Dadurch beleidigen beide ihren Vater sehr schwer. Im Gegensatz zum Älteren hat der Jüngere kein Mittel, um trotz der zerstörten Beziehung bei seinem Vater bleiben zu können – das ist seine Unerfahrenheit.

Wie wir aus Lukas 15, 1-2 wissen, wollte Jesus den jüdischen Pharisäern und Schriftgelehrten unter anderem mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn sein Verhalten gegenüber den Sündern erklären. Natürlich waren auch die Sünder von Haus aus Juden. Im Gleichnis werden sie versinnbildlich durch den Begriff „jüngerer Sohn“. Die Juden, die zu offenbaren Sündern wurden, besaßen nicht die „Altklugheit“ wie die religiösen Juden (der ältere Sohn), die fälschlicherweise glaubten, sie könnten  den Makel ihrer Trennung von Gott aufgrund ihrer Sünde durch Religion kaschieren.

Niemals hätten die religiösen Juden zur Zeit Jesu zugegeben, dass sie durch ihre Sünde von Gott getrennt seien – aber doch waren sie es; nur war es so, dass sie sich durch ihre jüdische Religion über ihre Trennung von Gott hinwegtäuschten. Jene Juden, die von den religiösen Juden als Sünder bezeichnet wurden, „machten den Fehler“, dass sie ganz unverschämt sündigten, ihre Sünde nicht verbargen, nicht heimlich sündigten.

Sowohl die offenbaren Sünder (jüngerer Sohn) als auch die religiösen Juden (älterer Sohn) waren aus Gottes Sicht Sünder. Beide folgten ihrem natürlichen Wesen, nur auf etwas unterschiedliche Art und Weise. Das natürliche Wesen wird im Gleichnis durch den Begriff „Erbe“ versinnbildlicht.

Es ist tatsächlich das natürliche, mit Sünde behaftete Wesen des Menschen, das wie eine Trennmauer zwischen ihm und Gott steht. Die Religiösen haben dafür nur eine Scheinlösung bzw. keine wirkliche Lösung. Durch ihre Religion täuschen sie sich über die Tatsache hinweg, dass ihre natürliche Sündhaftigkeit der Herstellung einer Beziehung zu Gott im Wege steht.

Um in eine Beziehung mit Gott zu kommen, muss das Problem des von Sünde behafteten, natürlichen Wesens des Menschen gelöst werden. Im Gleichnis wird das durch die Vernichtung des (schändlichen) Erbes versinnbildlicht. Der Vater im Gleichnis hatte allen Grund, beleidigt zu sein, weil seine Söhne schon vor seinem Ableben das Erbe entgegennahmen (ihr Erbe war sozusagen schändlich oder illegitim). Genauso hat in der Wirklichkeit Gott ein Problem mit dem natürlichen Wesen des (ungläubigen) Menschen, das von Sünde getrübt ist. Jedes gewöhnliche Erbe wird etwas akzeptables (legitimes) durch den Tod des Erblassers. Genauso muss der Mensch durch Christi Tod, der bildlich gesprochen auch der Tod des Erblassers (Gott starb für uns  in der Person Jesu Christi) war, hindurch und mit ihm auferstehen, damit er für Gott wohlannehmbar wird. Indem der Mensch durch Christi Tod hindurchgeht und gleichzeitig mit ihm aufersteht (durch die Taufe), wird er von seinem natürlichen Wesen, das von der Sünde getrübt ist, befreit und bekommt gleichzeitig ein neues Wesen in Gott bzw. Christus. Der Mensch wird wohlannehmbar, indem er sein mit Schande behaftetes Erbe verliert und in Gemeinschaft mit Gott, dem Erblasser, kommt – sein neues Sein in Gott bzw. Gott selbst wird sein Erbteil (ein legitimes Erbteil, weil es eine Beziehung zum Tod des Erblassers hat). Der Mensch, der keine Beziehung zum Tod Christi und zu seiner Auferstehung hat, ist wie einer, der ein Erbe in Empfang genommen hat, bevor der Erblasser gestorben ist (sein Erbe ist mit Schande behaftet).

„Und er teilte Hab und Gut unter sie“

Der Vater ließ den Willen der beiden Söhne geschehen und teilte ihnen das Erbe aus. Bezogen auf die Realität hieß das  zur Zeit Jesu: Sowohl religiöse Juden als auch offenbare Sünder lebten gemäß ihres natürlichen Wesens getrennt von Gott. Allerdings täuschten sich die religiösen Juden durch ihre Religion darüber hinweg.

13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.“

Was ist das ferne Land?

Zur Zeit Jesu war mit „fernes Land“ die nicht-jüdische Welt gemeint. Natürlich kann man bei dem Begriff „fernes Land“ einfach auch an „sündige Welt“ denken und das war ja die nicht-jüdische Welt aus Sicht der Juden. Das „ferne Land“ (die sündige Welt) war den Juden zur Zeit Jesu ganz schön nahe auf den Pelz gerückt, denn Israel war unter römischer Besatzung.

Was war der Unterschied zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Welt?

Nun, die Nicht-Juden, das heißt die Heiden (Römer, Griechen, Germanen, Gallier, etc.), hatten die Sünde legalisiert durch ihre heidnische Religion. Zwar führte die Religion der Juden nicht zu einer Beziehung zu Gott, sondern war auch nur frommer Selbstbetrug, aber doch war sie nicht so dreist und verwegen wie die heidnische Religion, die aus jüdischer Sicht schwerste Sünden (Habsucht, Hurerei, Ehebruch, Unreinigkeit, etc.) als etwas ganz normales, alltägliches betrachtete. Die Heiden trösteten sich damit, dass sie ja durchaus den Standards ihrer Götter genügten, sich wie ihre Götter verhielten, wenn sie habsüchtig waren, in Hurerei lebten, die Ehe brachen, etc. Es war also eine große Kluft zwischen heidnischer Welt und jüdischer Welt – allerdings begingen die Juden im Verborgenen auch die genannten schweren Sünden, die die Heiden öffentlich und ohne Scham begingen. 

„und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen“

Damit wird das ungehemmte Ausleben (Prassen) des natürlichen Wesens (Erbteil) des Menschen versinnbildlicht. Die Juden, die zu offenbaren Sündern geworden waren, ungehemmt ihr natürliches Wesen auslebten, sich des Ballasts der jüdischen Religion entledigt hatten, fanden jederzeit Gesinnungsgenossen unter den Heiden, die in Israel lebten (Israel war, wie gesagt, unter römischer Besatzung bzw. ein Teil des römischen Reiches). Es war also für jüdische Sünder nicht notwendig, eine im geographischen Sinne weite Reise zu machen, sondern es genügte, sich zu den in Israel lebenden Heiden zu halten.

Indem der Mensch sein natürliches Wesen auslebt, zerstört es sich selbst („brachte sein Erbteil durch“). Gottlosigkeit macht körperlich und seelisch krank. Der ohne Gott lebende Mensch ist wie ein Elektrogerät, das auf Akkubetrieb umgeschaltet hat, weil der Netzstecker gezogen wurde – irgendwann sind die Akkus leer.

14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben“

Dadurch, dass der Sünder Dinge nicht in Gott, in Gottes Geborgenheit bzw. im Frieden Gottes, tut, betreibt er Raubbau an sich selbst, verzehrt sich selbst. Der Sünder ist nicht mit dem großen Haupt verbunden, das das ganze Universum steuert, dadurch erlebt er viel Hemmung, alles geht sehr zäh – er arbeitet sich auf, reibt sich auf, alles hakt und klemmt. Der Sünder widerstrebt der gottgegebenen Ordnung der Dinge, was zu ständigen Kollisionen führt, die sehr zermürbend sind. Der Sünder verbraucht also das Seine, verzehrt sich selbst. In der Welt (fernes Land) herrscht immer (geistliche) Hungersnot, jedoch bemerken Sünder das erst dann, wenn ihre Akkus leer sind („all das Seine verbraucht“). In Worten des Gleichnisses: Über das ferne Land bricht sozusagen laufend (andauernd) eine Hungersnot herein und diese Hungersnot wird von verlorenen Söhnen bemerkt, die all das Ihre verbraucht haben. Der Sünder, der mit sich selbst zum Ende gekommen ist, findet in der Welt keine Hilfe bezüglich seiner geistlichen Not – es herrscht tatsächlich eine Hungersnot in der Welt.

Die Welt bietet eine Hilfe an, die keine wirkliche Hilfe ist, sondern das Gegenteil davon – so verschlimmert sich die Lage des Sünders sogar noch:

„15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.“

„Bürger jenes Landes“

Damit wird ein Nicht-Jude bzw. Heide (Römer, Grieche, etc.) versinnbildlicht. Wie oben gesagt, machen sich die Heiden nichts daraus, sich mit Dingen zu beschäftigen, die Juden als schwere Sünden betrachten. Die Heiden sind sozusagen Voll-Bürger der sündigen Welt, konstituieren sie geradezu.

„schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten“

Der Heide sieht nicht den Zusammenhang zwischen Sünde (des jüdischen Sünders) und Unglück, aber doch das Unglück selbst. Glück und Unglück spielen für den Heiden eine große Rolle. Und es gibt eine dämonische Neigung unter den Heiden, das Unglück eines ins Unglück Geratenen noch zu vermehren, statt ihm barmherzig herauszuhelfen. So fand der „Bürger jenes Landes“ gar nichts dabei, den Fremdling (jüngerer Sohn) zu den Schweinen zu schicken. Erst verführt die Welt die Menschen zum Sündigen (durch die Legalisierung der Sünde), wodurch sie ins Unglück geraten, und wenn sie dann im Unglück sind, zeigt sie ihnen den Daumen nach unten: „du dämlicher Unglücksrabe, du Pechvogel!“

Schweinehüten ist ein Beruf, durch den man sich (äußerlich) verunreinigt. Das versinnbildlicht vielleicht, dass Juden, die durch ihr schamloses Sündigen in der griechisch-römischen Welt (das ferne und doch nahe Land) lebten und von der Welt der religiösen Juden ausgeschlossen waren, ihren Unterhalt durch Berufe verdienen mussten, die sittlich-moralisch fragwürdig waren (Zöllner, Prostituierte, etc.). Sicherlich waren die Arbeitgeber (Unternehmer, Firmenbesitzer, etc.) unter den religiösen Juden nicht bereit, die Sünder bei sich zu beschäftigen und somit hatten diese keinen Zugang zu normalen Berufen (Zimmermann, Schneider, Landarbeiter, Verkäufer, Dienstmagd, etc.), das heißt zum Arbeitsmarkt der normalen Berufe. Dadurch wurden die Sünder in den Arbeitsmarkt der unreinen Berufe geradezu hineingedrängt (was sollten sie sonst tun?). Durch unmoralische Berufe vergrößerte sich die Verunreinigung der Sünder in sittlich-moralischer Hinsicht noch und sie wurden zu ausgesprochen unreinen Schweinen.

„Säue“

Die Säue sind der eindeutige Beweis dafür, dass mit „Bürger jenes Landes“ ein Nicht-Jude versinnbildlich werden sollte, denn die Juden essen kein Schweinfleisch.

„und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm“

Ungerechter Gewinn durch einen sittlich-moralisch fragwürdigen Beruf zerrinnt oft schnell zwischen den Fingern. Und selbst wenn man (die jüdischen Sünder) durch einen unmoralischen Beruf materiellen Reichtum anhäufte, war man doch unterm Strich ärmer geworden, wenn man den seelischen und körperlichen Schaden mit einrechnete. Die Zöllner und Sünder zur Zeit Jesu waren auf keinen Fall in einem beneidenswerten Zustand, selbst wenn es vielleicht dem ein oder anderen oberflächlich betrachtet gut ging.

Das Sündigen der Zöllner und Sünder führte dazu, dass sie litten.

„17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!“

Hier sehen wir, wie Gott mit seiner Zucht (Gott benutzt das durch die Sünde verursachte Leid als Zuchtmittel) zum Ziel kommt. Natürlich ist der physische Hunger des verlorenen Sohnes im Gleichnis ein Bild auf den geistlichen Hunger eines Menschen in der wirklichen Welt, der dem geistlichen Ruin entgegengeht, wenn er weiter ohne Gott lebt. Allerdings ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass ein Mensch in der realen Welt auf Grund seines Unglaubens auch in physische, psychische und materielle Nöte kommt und nicht nur in geistliche. Allerdings ist die grundlegende Not des ungläubigen Menschen seine geistliche Not.

Es ist schon mal ein erster Schritt in Richtung Gott, zu erkennen, dass Gott die Nöte jener behebt bzw. für jene sorgt, die an ihn glauben („Tagelöhner meines Vaters haben Brot in Fülle“) und zwar in jeglicher Hinsicht: geistlich, psychisch, physisch und materiell.

18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!“

Obwohl die Not des verlorenen Sohnes im Gleichnis eine physische war (sein physischer Hunger), hat doch sein Schuldbekenntnis „ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ etwas geistliches (im Gleichnis wird also einer materiellen Not durch ein geistliches Schuldbekenntnis begegnet). Dieses Schuldbekenntnis könnte genauso ein Sünder in der realen Welt sprechen, der von seinen Sünden zu Gott umkehren will wegen seiner geistlichen Not – Gott aber würde sich dann aller seiner Nöte (geistliche, psychische, physische und materielle), nicht nur der geistlichen, annehmen. Dies wird dadurch deutlich, dass der verlorene Sohn im Gleichnis ein Schuldbekenntnis aus der Realität spricht – er spricht bei seinem Schuldbekenntnis wie ein Mensch in der Realität. In diesem Moment kann man dann das Wort „Hunger“ nicht mehr nur geistlich deuten, weil ja der verlorene Sohn für einen Moment zu einer wirklichen Person wird und nicht mehr nur ein Bild für etwas oder jemand ist.

Der Hunger jenes verlorenen Sohnes aus dem Gleichnis wurde mit Sicherheit gestillt, als er in die Gemeinschaft seines Vaters zurückkehrte. Dadurch wird versinnbildlicht, dass auch die Stillung jeglicher Form des Hungers (physischer, psychischer, materieller und geistlicher Hunger) des bußfertigen Sünders in der Realität durch Gott mit Sicherheit geschieht.

„nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße“

Dies ist die Verleugnung alles Natürlichen, der biologischen Abstammung. Die religiösen Juden (der ältere Sohn) haben tatsächlich das Problem, dass sie auf ihre biologische Abstammung von Abraham pochen, auf das Natürliche. Unter anderem deswegen halten sie sich fälschlicherweise für Kinder Gottes. Wollten sie aber wirkliche Kinder Gottes werden, müssten sie in Analogie zu dem, was der verlorene Sohn aus dem Gleichnis gesprochen hat, sprechen: „Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich ein Kind Abrahams heiße.“

„mache mich zu einem deiner Tagelöhner“

Dieser Satz würde in der realen Welt bedeuten: „Ich will hinfort an dich glauben (trotz des Leids, das mir von der Welt angetan werden wird, und der Verwerfung durch die Welt).“

Wenn man die Apostelgeschichte liest, wird klar, dass die heidnische Welt gegen die Christen, das heißt die „Tagelöhner Gottes“, eine noch wesentlich stärkere Abneigung hat als gegen die Juden. Wer vom Judentum zum Christentum konvertierte, bekam nicht nur Probleme mit seinen ehemaligen jüdischen Brüdern (der ältere Sohn), sondern auch mit der griechisch-römischen Welt (das ferne und doch so nahe Land). Viele jüdische Sünder (der jüngere Sohn) zur Zeit Jesu jedoch waren bereit, um ihrer Gemeinschaft mit Gott willen Leiden und Verwerfung zu ertragen.

1. Thessalonicher 2, 14 Denn, liebe Brüder (die Gläubigen der Kirche zu Thessaloniki; R. B.), ihr seid den Gemeinden Gottes in Judäa nachgefolgt, die in Christus Jesus sind; denn ihr habt dasselbe erlitten von euren Landsleuten, was jene von den Juden erlitten haben.

Der Christ lebt in der Regel auf Erden nicht in Herrlichkeit, sondern in Niedrigkeit. Auf Erden bedeutet die Gotteskindschaft, die in der kommenden Welt Herrlichkeit bedeutet, Niedrigkeit. Ein Kind Gottes bzw. ein Königskind gleicht also auf Erden mehr einem Tagelöhner, als dem, was sich der gemeine Mann unter einem Königskind vorstellt. Für den Gläubigen kann allerdings nur entscheidend sein, dass er ein Kind Gottes ist, dass ihn Gott in seine Gemeinschaft aufgenommen hat, ob es nun Niedrigkeit hier oder Herrlichkeit dort bedeutet – natürlich freut er sich der zukünftigen Herrlichkeit im Glauben und das hilft ihm, die Niedrigkeit hier zu ertragen.

(Die Niedrigkeit der Christen auf Erden hängt natürlich mit der Verwerfung durch die Welt zusammen und mit dem Leid, das ihnen durch die Welt zugefügt wird)

20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“

Der bußfertige Sünder (verlorener Sohn) pocht nicht auf seine Bekehrung und sagt nicht zu Gott (Vater), er müsse ihn nun aufnehmen, weil er sich „so konsequent“ bekehrt habe. Er überlässt es vollständig Gott, ob er ihn aufnehmen wolle oder nicht. Natürlich ist seine Bekehrung notwendig, aber er überlässt es völlig der Initiative Gottes, ihn aufzunehmen oder nicht. Die Wiederaufnahme des verlorenen Sohnes in die Gemeinschaft seines Vaters entspricht heute einer sakramentalen Taufe einschließlich Kindertaufe – natürlich sollen nur bußfertige Sünder getauft werden. Der Vater (Gott) nahm den verlorenen Sohn (Sünder) erst auf, als er nicht mehr an seinem Erbe (natürliches Wesen) hing bzw. nicht mehr daran hängen konnte, weil er es verloren hatte (er ging mit seinem natürlichen Leben bankrott, erlitt Schiffbruch). Er nahm ihn nicht auf, solange er noch von seinem Erbe zehrte (auf sein natürliches Wesen setzte). Den Fluch (Hunger, Säue hüten) als Folge der Sünde benutzte Gott als Zuchtrute, um den Sünder (jüngeren Sohn) zur Umkehr (Buße) zu bewegen. Und als es so weit war, er umgekehrt war, von einem Sünder zu einem bußfertigen Sünder geworden war, nahm er ihn wieder auf.

Das Verlieren des Erbes im Gleichnis bedeutet in der Wirklichkeit, dass der Sünder in einem ersten Schritt mit sich selbst, mit dem, was er natürlicherweise ist, zum Ende kommt und darauf nicht mehr baut; wirklich befreit von sich selbst, dem, was er natürlicherweise ist, wird der Sünder in der Wirklichkeit aber erst durch einen zweiten Schritt: die Taufe. Es ist nicht so, dass der Sünder sich selbst von seinem natürlichen Wesen befreit (das kann er auch nicht), bevor Gott ihn aufnimmt. Nein, die Taufe macht’s: In der Taufe wird der Sünder von seinem natürlichen Wesen befreit und bekommt gleichzeitig ein neues Wesen, indem Gott ihn in seine Gemeinschaft aufnimmt.

Analog zum Gleichnis vom verlorenen Schaf sehen wir auch beim Gleichnis vom verlorenen Sohn, dass mehr Gewicht auf der Aktivität Gottes als auf der Aktivität des bußfertigen Sünders liegt. Es war zwar notwendig, dass der verlorenen Sohn umkehrte, aber hinreichend zu seiner Aufnahme in die Gemeinschaft mit seinem Vater war eben die entschlossene Handlung seines Vaters, ihn wieder aufzunehmen. Gott gab seinen wertvollen Sohn für uns – das war eine göttliche Großtat. Nur auf dieser Grundlage konnte er uns wiederaufnehmen. Unsere Buße bzw. Umkehr ist zwar notwendig, damit sich Gottes Handeln überhaupt auf uns bezieht, aber wir sollten keinesfalls so tun, als ob es hauptsächlich oder gar ausschließlich unsere Buße bzw. Umkehr macht – das wäre fast Gotteslästerung. Es ist wirklich lächerlich bzw. lästerlich, wenn ich Gottes Gabe (er gab seinen teuren Sohn für mich) nicht viel stärker gewichte als meine kleine Buße – wenn sie auch notwendig ist und vielleicht Schritte beinhaltet, die ich durchaus nicht als Kleinigkeit empfinde.

Als der Sohn beim Vater ankommt, sagt er das mit dem Tagelöhner gar nicht zu ihm, wie er sich eigentlich vorgenommen hatte. Der Grund dafür: Der Vater lässt ihn gar nicht dazu kommen, auszusprechen: „Mache mich zu einem deiner Tagelöhner.“

Wie ist das zu verstehen?

Was bedeutet das für uns in der wirklichen Welt?

Gott gibt uns durch seinen Geist eine so große Gewissheit, dass wir Kinder Gottes sind, er malt uns das so deutlich vor Augen, macht uns das so plastisch, dass im Vergleich dazu unsere Niedrigkeit („Dasein eines Tagelöhners“), die wir auf Erden erleben, verblasst wie ein Alptraum, den man nach dem Aufwachen schnell vergisst. Der Geist Gottes vermag uns ein Empfinden zu geben, dass wir in einer Sache leben, die an sich Vergangenheit ist – das übertrifft alle Erkenntnis und ist für den Rationalisten nicht nachvollziehbar: Ich lebe in einer Welt, die in gewisser Weise bereits Vergangenheit ist. Das ist rational gesehen unmöglich, aber doch möglich durch den Geist Gottes, der die Zukunft in die Gegenwart holt, wodurch die Gegenwart relativ zur Vergangenheit wird.

Als Christ erlebe ich schon auf Erden meine Gotteskindschaft durch das Wirken des Geistes Gottes trotz der Tatsache der augenscheinlichen Niedrigkeit meines Lebens („Dasein eines Tagelöhners“) – bombastisch. Der Geist Gottes setzt der sichtbaren Realität der Niedrigkeit auf Erden die unsichtbare Realität der Gotteskindschaft entgegen.

„Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein!“

Das ist alles Jesus Christus. In ihn sind wir (bußfertige Juden und Heiden) durch die Taufe gekleidet (Gewand), er ist unser Ruhm und unsere Ehre (Ring),  und er wurde für uns geschlachtet (Kalb).

25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen.“

Wie gesagt, durch den Begriff „älterer Sohn“ werden die religiösen Juden versinnbildlicht. Sie waren ganz vom täglichen Broterwerb hingenommen („war auf dem Feld“), führten ein bürgerliches Leben. Die religiösen Juden hatten den Vorteil, dass sie so einigermaßen mit dem Leben zurechtkamen, weil sie bezüglich der Sünde die Zügel nicht völlig schießen ließen (sie sündigten heimlich, vielleicht mit einer gewissen Scham) – allerdings wurden sie auch niemals zu wirklichen Heiligen (sie lebten auf einem seichten, spießbürgerlichen Niveau vor sich dahin). Der Nachteil ihrer Religiosität war, dass sie allerdings auch nie zu vollkommenen Sündern wurden, aus denen Gott vollkommene Heilige hätte machen können..

Wenn die religiösen Juden (der ältere Sohn) allerdings Jesus und die Schar der Jünger in Gemeinschaft mit ihm anschauten („nahe zum Hause kommen“), mussten sie eingestehen, dass das Glück und die Freude („Singen und Tanzen“) bei jenen war, die von ihren Sünden zu Gott umgekehrt waren und aus denen Gott wirkliche Heilige machte. Der gleiche Gott, der die bußfertigen Sünder heiligte, schenkte ihnen auch Glück und Freude: Heiligung, Glück und Freude bilden eine unzertrennliche Einheit. Zur Zeit Jesu war Gott bei den Jüngern durch Jesus selbst.

(Hinweis: Das „Haus“ war zur Zeit Jesu der sichtbare Jesus und die Schar der Jünger in Gemeinschaft mit ihm; heute ist das „Haus“ die christliche Kirche, wo Gott gegenwärtig ist durch den Heiligen Geist)

26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre.“

Natürlich, ganz verstehen können die Anhänger des Judentums die Freude nicht, die jene haben, die an Jesus Christus, Gottes Sohn, glauben („was das wäre“). Der religiöse Jude tut Werke aus dem Fleisch (natürliches Wesen des Menschen, der nicht an Jesus glaubt) heraus, die Gott nicht gefallen, und entbehrt der Freude der Gegenwart Gottes. Aber jener, der an Jesus glaubt, führt ein fröhliches Leben in Gottes Gegenwart und zu Gottes Wohlgefallen.

27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.“

Der verlorene Sohn (bußfertiger Sünder) kam insofern gesundet von seiner weiten Reise zurück, dass er nun nicht mehr auf sein Erbe (natürliches Wesen des Menschen) baute bzw. bauen konnte (er hatte ja auf der Reise alles verloren), sondern seine ganze Hoffnung auf die Gnade seiner Vaters (Gottes) setzte. Die Gnade des Vaters (Gottes) materialisierte, indem er das gemästete Kalb (Jesus, das Lamm Gottes) für den verlorenen Sohn (bußfertigen Sünder) schlachtete.

„28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.“

Die Anhänger des Judentums hassen jene (biologischen) Juden, die an Jesus Christus glauben bzw. zum Christentum konvertieren. Dieser Hass ist dämonischer Natur, ohne rationale Ursache („da wurde er zornig“).

Bis einschließlich heute (7. Dezember 2018) bittet Gott die Anhänger des Judentums, sich doch von ihrer traditionellen Religion loszusagen und zum wahren Christentum zu konvertieren („sein Vater bat ihn“).

29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.“

Die Anhänger des Judentums stützen sich auf Werke, die sie aus dem Fleisch heraus tun („so viele Jahre diene ich dir“). Solche Werke aber sind wertlos vor Gott („er gab ihm nie einen Bock“).

Jesus sagt:

Johannes 3, 6 „Was vom Fleisch (natürliches Wesen des Menschen, der nicht an Jesus glaubt; R. B.) geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist“

und

Johannes 6, 63 „Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.“

Im Gegensatz dazu tut der Christ, der wahre Fromme, alles in und durch Christus. Alles, was in und durch Christus getan ist, ist Gott wohl annehmbar. Christus wohnt in dem Gläubigen durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist wird geschenkt durch die neue Geburt aus Wasser und Geist, die sakramentale Taufe einschließlich Kindertaufe – so ist der Christ vom Geist geboren, wie in Joh. 3, 6, siehe oben, geschrieben steht.

Solange Jesus auf Erden lebte war Gott durch Jesus gegenwärtig. Seit Pfingsten ist Gott durch den Heiligen Geist gegenwärtig. Genauso wie ein Jude zur Zeit Jesu den sichtbaren Jesus brauchte, um heilig zu werden, braucht er heute den Heiligen Geist. Wer den Heiligen Geist hat, der ist auch in dem unsichtbaren Christus.

30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.“

Hier beschwert sich das Judentum darüber, dass Gott allein aus Gnade seinen Sohn für die Sünder gab  („das gemästete Kalb geschlachtet“) bzw. dass er so gnädig war mit den Sündern, die doch eigentlich nur Strafe verdient hatten („Hab und Gut mit Huren verprasst“).

Römer 3, 24 und (Juden und Heiden; R. B.) werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.“

„Was mein ist, das ist dein“ ist einerseits freundlich gemeint (wegen Gottes Beziehung zu den Juden auf Grundlage des alten Bundes), andererseits drängen die Anhänger des Judentums sich mit Gewalt in das Reich Gottes hinein. Sie wollen die geistlichen Güter des Reiches Gottes genießen („was mein ist, das ist dein“), ohne für Gott wirklich annehmbar zu sein (wegen Ablehnung des neuen Bundes: der Glaube an Jesus). Ihre traditionelle Religion hält sie davon ab, zu wirklichen Sündern zu werden, zu bußfertigen Sündern, die Gott aufgrund seiner Gnade annehmen und bessern könnte.

„32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

Damit ruft Gott die Anhänger des Judentums auf, sich wirklich zu bekehren („fröhlich und guten Mutes sein“). Nur wer selbst ein geretteter Sünder ist („wieder lebendig geworden“), kann sich darüber freuen, wenn solche, die tot waren in Sünden, geistlich wieder lebendig werden und von der Gottesferne („verloren“) zurückkehren in die Gemeinschaft mit Gott („wiedergefunden“).

Ergänzung

„was mein ist, das ist dein“

Dieser Satz, den der Vater zum älteren Sohn sagt und den man auch als freundlich gemeint deuten kann, scheint nicht ganz in den Gesamtzusammenhang des Gleichnisses vom verlorenen Sohn zu passen, wenn man ihn einmal nur als freundlich gemeint auffasst.

Der Gesamtzusammenhang ist ja, dass der Vater den jüngeren Sohn (der verlorene Sohn) mit großer Freude aufnimmt (während der ältere Sohn in dem ganzen Gleichnis nur am Rande erwähnt wird), dem nun nicht mehr sein Erbe wichtig ist – auch nicht mehr wichtig sein kann, weil er es verloren hat -, sondern sein Vater. Das Unglück, das der jüngere Sohn auf seiner weiten Reise erlebte, bewirkte bei ihm einen Sinneswandel – so wurde ihm sein Unglück zum Segen.

Der Ältere jedoch behielt sein Erbe, weil er die Zügel nicht so schießen ließ (bezüglich seines inneren Schweinehundes) wie sein jüngerer Bruder. Da er nicht die Entwicklung durchmachte wie sein jüngerer Bruder (und auch nicht sein Erbe verlor), konnte er niemals so wohlannehmbar werden wie jener. Dennoch sagt sein Vater zu ihm: „Was mein ist, das ist dein“. Damit scheint das ganze Gleichnis fast sinnlos zu werden, denn auf den ersten Blick sieht es so aus, dass der Vater den älteren Sohn genauso annehmen würde wie den jüngeren. Was hätte dann der „Leidensweg“ des jüngeren Bruders überhaupt für einen Sinn gehabt?

Das Judentum, das zur Zeit Jesu praktiziert wurde, entsprach einer falschen Auslegung des Alten Testamentes (AT): Gerechtigkeit aus Gesetzeswerken. Dieses Judentum hielt die damaligen Juden vom Glauben an einen Erlöser fern. Der Glaube an einen Erlöser aber hätte der richtigen Auslegung des Alten Testamentes entsprochen. Trotz ihrer Fehlauslegung des AT – ihres Irrtums – jedoch waren die Juden zur Zeit Jesu immer noch Gottes Volk. Das Volk der Juden ist ein Paradoxon: Einerseits sind sie Geliebte Gottes wegen des alten Bundes Gottes mit ihnen, anderseits ist Gott aber auch sehr zornig auf sie, weil sie nicht an Jesus Christus glauben wollen (der Glaube an Jesus ist der neue, bessere Bund Gottes). Gott hat also ein „was mein ist, das ist dein“ für die Juden, das wirklich freundlich gemeint ist, aber er sagt es gleichzeitig auch nicht so wohlmeinend zu ihnen, da sie nämlich die geistlichen Güter genießen wollen, ohne Buße getan zu haben und an Christus zu glauben bzw. sie drängen mit Gewalt ins Reich Gottes.

Hebräer 8, 8-13

8 Denn Gott tadelt sie (die Juden; R. B.) und sagt (Jeremia 31,31-34): »Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da will ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen, 9 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss an dem Tage, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen. Denn sie sind nicht geblieben in meinem Bund; darum habe ich auch nicht mehr auf sie geachtet, spricht der Herr. 10 Denn das ist der Bund, den ich schließen will mit dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz geben in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben (durch die sakramentale Taufe einschließlich Kindertaufe; R. B.) und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. 11 Und es wird keiner seinen Mitbürger lehren oder seinen Bruder und sagen: Erkenne den Herrn! (sie werden alle vom Heiligen Geist, den man durch die sakramentale Taufe empfängt, gelehrt sein; R. B.) Denn sie werden mich alle kennen von dem Kleinsten an bis zu dem Größten. 12 Denn ich will gnädig sein ihrer Ungerechtigkeit, und ihrer Sünden will ich nicht mehr gedenken.« 13 Indem er sagt: »einen neuen Bund«, erklärt er den ersten für veraltet. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist seinem Ende nahe.

Römer 9, 1-5

1 Ich (Paulus; R. B.) sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, 2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. 3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder (die Juden; R. B.), die meine Stammverwandten (Volksgenossen, Landsleute; R. B.) sind nach dem Fleisch, 4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 denen auch die Väter (Abraham, Isaak, Jakob; R. B.) gehören und aus denen Christus (Jesus von Nazareth; R. B.) herkommt nach dem Fleisch (er war der Sohn des jüdischen Zimmermanns Joseph und seiner Frau Maria; R. B.), der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.

Römer 9, 30-33

30 Was sollen wir nun hierzu sagen? Das wollen wir sagen: Die Heiden (Griechen, Römer, Germanen, Gallier, etc.; R. B.), die nicht nach der Gerechtigkeit trachteten, haben die Gerechtigkeit erlangt; ich rede aber von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. 31 Israel aber hat nach dem Gesetz der Gerechtigkeit getrachtet und hat es doch nicht erreicht. 32 Warum das? Weil es die Gerechtigkeit nicht aus dem Glauben sucht, sondern als komme sie aus den Werken. Sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anstoßes (Jesus von Nazareth; R. B.), 33 wie geschrieben steht (Jesaja 8,14; 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.«

Römer 10, 1-4

1 Liebe Brüder (die Gläubigen der Kirche zu Rom; R. B.), meines (des Paulus; R. B.) Herzens Wunsch ist und ich flehe auch zu Gott für sie (die Juden; R. B.), dass sie gerettet werden. 2 Denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer für Gott haben, aber ohne Einsicht. 3 Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und suchen ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten und sind so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan. 4 Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.

Römer 11, 1-2

1 So frage ich (Paulus; R. B.) nun: Hat denn Gott sein Volk (die Juden; R. B.) verstoßen? Das sei ferne! Denn ich bin auch ein Israelit, vom Geschlecht Abrahams, aus dem Stamm Benjamin. 2 Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat.

Römer 11, 28-29

28 Im Blick auf das Evangelium sind sie (die Juden; R. B.) zwar Feinde um euretwillen (die Christen aus den Heiden; R. B.); aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter (Abraham, Isaak, Jakob; R. B.) willen. 29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. (im Vers 28 lesen wir von einem Paradox: Die Juden sind gleichzeitig Feinde und Geliebte Gottes – das ist rational nicht fassbar).

Wenn wir die genannten Abschnitte aus dem Römerbrief lesen, wird uns klar, warum der Vater zu dem älteren Sohn „was mein ist, das ist dein“ auch wohlmeinend sprach. Aufgrund des alten Bundes gibt es doch noch eine gewisse Beziehung zwischen Gott und den Juden (im Gleichnis: Vater und älterer Sohn), wenn er es natürlich auch viel, viel lieber sähe, dass sie in seinen neuen Bund (Glaube an Jesus) eintreten würden (und auch nur so könnten sie gerettet werden vor der ewigen Verdammnis).

 

 

 

 

 

 

 

 

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